Einmal die Distanz von 42,195km zu absolvieren: Den Wunsch hatte ich schon seit einigen Jahren. Letztes Jahr im Oktober war es dann so weit – wenn auch nicht so, wie eigentlich geplant.
Ein guter Vorsatz und die Rahmenbedingungen
2020 sollte das Jahr werden, in dem ich meinen ersten Marathon laufe. Das stand fest – ich wusste nur noch nicht, wie genau ich es angehen sollte. Anfang März war ich bereits gut im Training und hatte gerade mein Ziel erreicht, den Halbmarathon unter 1:50 Std. zu laufen. Kurz darauf schwirrte ein Gewinnspiel-Posting von hohes C in meinem Insta-Feed umher: Gewinne ein Laufcoaching für den WACHAUmarathon. Perfekt, dachte ich mir. Eine zielgerechte Vorbereitung für den ersten ganzen Marathon erschien mir sehr sinnvoll. Außerdem war da jetzt Corona und die bevorstehende Kurzarbeit ab April stellte mir viel Zeit fürs Training in Aussicht. Und siehe da: Ich bekam die Zusage und Anfang Juni konnte das Laufcoaching coronabedingt mit etwas Verspätung starten.
Absage WACHAUmarathon
Doch die Freude währte nicht lange. Es war am 15. Juli, als ich über WhatsApp von der Absage des WACHAUmarathons erfuhr. Ich lief gerade erst gute 5 Wochen nach Trainingsplan – aber die Absage hat mich extrem getroffen. Ich merkte, wie sehr ich mich in dieser speziellen Zeit mit all den Einschränkungen an das Ziel bzw. die Herausforderung Marathon geklammert hatte und wie schwer das im Kopf anzunehmen war, dass es nun keinen Wettkampf im Herbst für mich geben sollte. Trotzdem sah ich keine Alternative. Am nächsten Tag standen 20km am Plan und ich wollte das Training durchziehen und das Laufcoaching weiterhin in Anspruch nehmen. Schwierig, so ohne Perspektive, aber ich habe die Herausforderung angenommen und die Hoffnung auf einen Bewerb nicht aufgegeben.
Laufbewerb gefunden
Das hohes C Laufcoaching lief also weiter, der dritte Trainingsplan endete am 27. September. Eine Woche davor war es dann so weit – nach intensiver Recherche zu möglichen Wettkämpfen hatte ich mich zum LCC Herbstmarathon am 11. Oktober angemeldet. Sechs 7km Runden im Prater, Start 15 Uhr, ein Starterfeld von nicht ganz 100 Personen, davon weniger als die Hälfte für die ganze Distanz. Nicht meine Traumvorstellung vom ersten Marathon, aber nichtsdestotrotz ein „echter Lauf“.
Es wurde ernst
Jetzt gab es keine Ausreden mehr. Ich wusste, dass ich in 3 Wochen tatsächlich den Marathon laufen werde. Große Freude, aber offenbar auch große Anspannung machten sich breit. Denn zwei Tage nach der Anmeldung begann ich mich kränklich zu fühlen. Ich war dauernd müde, fühlte mich leicht schwindlig und „wattig“ im Kopf. Dann kam das erste Mal, dass ich eine Einheit vom Trainingsplan auslassen musste. Ich war sehr froh, dass ich mich in diesen Tagen mit Michael Buchleitner austauschen konnte und schlussendlich doch noch den ersten 35km Trainingslauf gemacht habe. Irgendwas passte trotzdem nicht ganz mit mir und dieses ständige Hin und Her im Kopf „Werde ich laufen? Oder doch nicht?“ machte mich verrückt. Doch drei Tage vor dem Bewerb fühlte ich mich wieder normal und entschloss mich zu laufen.
Der große Tag
Ich war den ganzen Tag schon extrem nervös und wollte am liebsten gar nicht angesprochen werden. 15 Uhr Start, das war grenzwertig für meine Nerven. Mein Ruhepuls war erhöht und ging trotz aller Bemühungen nicht runter. Zusätzlich ärgerte ich mich, weil ich selbst nicht verstand, warum ich eigentlich so nervös war. Für den Abend war Regen angesagt, ich entschied mich trotzdem für ein kurzes Lauf-Outfit und nahm die Regenjacke mit. Und los ging‘s zum Stadionparkplatz und fast direkt weiter an den Start. Ich stellte mich ganz nach hinten ins Starterfeld und trabte auch schon langsam Richtung Startlinie – nun war die Herzfrequenz bereits auf 142s/m (!). Ich war unglaublich nervös und nun auch ziemlich planlos. Bis Kilometer 30 sollte die Herzfrequenz unter 145 bleiben, so die Empfehlung von Michael. Der Plan ging mal fix nicht auf… Nach dem ersten Kilometer war ich mit einer 6:30er Pace auf 150. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Ok, Nerven bewahren und langsam weitertraben, dachte ich mir. Und da merkte ich auch schon, dass ich mit meinem Tempo ziemlich allein auf weiter Flur war. Hm, also doch kein Wettkampf-Feeling. Ich war total enttäuscht, hauptsächlich von meiner Pace, aber ich war auch zu feig, einfach darauf loszulaufen und die Herzfrequenz zu ignorieren. Ich wollte gut ins Ziel kommen und stellte mich also gedanklich auf einen seeeehr langen Nachmittag und Abend auf dieser 7km-Runde im Prater ein. Ausdauer? Kann ich!
Nach dem kurzen Weg ums Heustadlwasser kam ich knapp vor Kilometer 3 wieder zurück auf die Hauptallee, wo mir bereits eine Menge Läufer:innen entgegenkamen, die kurz vor dem Ende der ersten Runde waren. Das war gut, es lenkte mich ab, in die verbissenen Gesichter der schnellen Läufer:innen zu schauen: Ich freute mich, dass ich doch noch einiges zu beobachten hatte auf meinen Runden. Naja, dann ging es relativ unspektakulär dahin. Die Herzfrequenz von 150 fühlte sich jetzt auch nicht unangenehm an und so kam ich langsam in den Flow. Bei der Hälfte der Strecke begann es unter dem linken Knie zu stechen, das hatte mich kurz aus dem Rhythmus gebracht. Unangenehme Vorstellung, dass das bis ins Ziel so weitergehen könnte. Also blieb ich bei der Labstation kurz stehen und streckte mein Bein ein paar Mal durch und massierte die betroffene Stelle. Ich probierte mich zu beruhigen: Das ist sicher nur was Muskuläres. Ich kann mich nicht mehr erinnern wann, aber das Stechen ging später wieder weg.
Ich war mittlerweile so angekommen bei mir, in meinem Lauftrott und auf der Rundstrecke mit den immer wiederkehrenden, gleichen Gesichtern der entgegenkommenden Läufer:innen, dass ich nicht einmal mehr sagen konnte, in welcher Runde ich mich gerade befand. Das Läuferfeld wurde aufgrund des Halbmarathon-Finishs immer kleiner. Ich glaube, im Laufe der 4. Runde ist dann der Wind aufgekommen und es hat leicht zu regnen begonnen. Gut, dass ich Begleitung mithatte und bei nächster Gelegenheit die Jacke anziehen konnte. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nicht „zach“ war. Es begann zu dämmern, mir blies der Wind um die Ohren und ich wusste, dass ich nicht mit trockenen Socken ins Ziel kommen werde. Ich glaube, ich habe noch nicht erwähnt, wie sehr ich nasse Socken hasse.
Der Weg ums Heustadlwasser war jetzt schon etwas unheimlich, so alleine in der Dämmerung. Und dann stand auf einmal ein Reh vor mir und schaute mich an, kurz vor Kilometer 31. Das war irgendwie schön, fast ein bisschen kitschig: Statt dem Mann mit dem Hammer kam das leichtfüßige Rehlein. Auch diese Runde ging zu Ende, diesmal 2 Minuten schneller als die erste und ich war tatsächlich voller Vorfreude auf die letzten 7 Kilometer. Noch nie zuvor war ich weiter als 35 Kilometer gelaufen – jetzt war es so weit. Und weil es schon sehr dunkel war, begleitete mich kurzerhand eine Freundin das letzte Mal ums Heustadlwasser. Das war eine angenehme Ablenkung, ich war mittlerweile ziemlich durchnässt, und das Licht dort war so schlecht, dass ich auch die Wasserlacken nicht mehr wirklich sehen konnte. Spätestens jetzt waren Schuhe und Socken komplett durchnässt…
Zurück auf der Hauptallee ging es dann wieder allein ein letztes Mal hinauf Richtung Riesenrad. Ich hatte mittlerweile ein paar Läufer überholt und da waren noch einige mehr vor mir, die schmerzverzerrt gingen oder ganz langsam probierten, weiterzulaufen. Dann überholte ich einen Läufer, den ich von den Begegnungen der ersten Runden kannte. Er murmelte irgendwas von Schmerzen. Ich fragte kurz nach, was ihm denn weh tue und er erwiderte mit einem gequälten Lächeln: „Alles“. Ich war heilfroh, dass es mir so gut ging. Es kam die letzte Wende beim Riesenrad und ab dann ging es ca. 2 Kilometer gefühlt bergab bis ins Ziel. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich es unter 4:30 Std. schaffe, wenn ich noch ein bisschen Gas gebe. Das tat ich und es fühlte sich richtig gut an, obwohl die Schuhe bei jedem Schritt „quatschten“. Da die jubelnde Masse am Wegrand fehlte, feierte ich mich selbst ein bisschen auf den letzten 100 Metern. Auch dafür, dass ich die nassen Socken so lange ertragen hatte.
„Lauf nicht irgendeiner Zeit nach, sondern komm´ mit einem guten Gefühl ins Ziel“, waren die Worte von Michael. Und recht hatte er, der hohes C Laufcoach.